Ananasminze, Lavendel und Eigentlich

Raketenfeinstaub Mai 15, 2020

Dass „eigentlich“ kein Wort ist, wissen wir spätestens seit Kurt Tucholsky in unser Leben getreten ist. Überschriften aus drei Worten sind immer irgendwie nett und Begriffe wie „Lavendel“ funktionieren gut, da sie beide Gehirnhälften aktivieren. Zugegeben: „Ananasminze“ düst knapp an der Kitschgrenze vorbei. Aber gut – sie kommt im Text vor, also bleibt sie drin.

Eigentlich jedenfalls, eigentlich wollte ich über eine, nein – deine fiktive Shampoo-Sammlung schreiben. Und uneigentlich – denn das ist der wahre Kern hinter dem Eigentlich – war mir unbewusst bewusst, dass das falsch ist, denn du hast keine Shampoo-Sammlung.

Syoss Salonlong, Rituals Karma Shampoo und L’Oréal Botanical Fresh Care Lavendel aufgereiht, nebeneinander platziert – die gibt es so gar nicht.
Ich wollte mit den Shampoos sagen, dass Menschen gerne Dinge sammeln. Dinge, die ihnen am Herzen liegen, egal aus welchem Grund, sei es ein Ort, eine Erinnerung oder ein anderer Mensch. Meist ist es ja alles irgendwie zusammen.
Vielleicht wollte ich mit der fiktiven Syoss-L’Or’eal-Sammlung ein bedeutungsschwangeres Bild kreieren. Denn Menschen, die schreiben tun so etwas gerne, um ein mystisches „Mehr“ beim Leser zu erzeugen. Das diesen dann wiederum irgendwas ahnen, ihn subtile Botschaften zwischen den Zeilen aufspüren lässt. Aber wie schon gesagt, die Sammlung gibt es nicht und somit auch kein bedeutungsschwangeres Bild.

Lavendel erinnert mich jedenfalls an meinen Sommer in Barcelona. Mein Bruder war zur gleichen Zeit für ein Jahr in Avignon. Wir besuchten uns gegenseitig. Er brachte mir Lavendel-Öl aus der Provence mit und ich ihm T-Shirts. Meine ersten selbstgedruckten T-Shirts. Barrio el Born, enge Gassen, hier blieb es kühl selbst an den heißen Sommertagen. Es war eine Siebdruckwerkstatt in einer der vielen Seitenstraßen, in denen ich mich immer wieder verirrte. Handwerk, das man in Großstädten wie diesen nicht vermutet. Ich zeichnete und druckte, schrieb und ließ mich von der Stadt einfangen.

So viel zum Lavendel und der Erinnerung – hätte ich über die fiktive Shampoo-Sammlung geschrieben, wäre es so weiter gegangen:

Lavendel. Lavendel, ist das, was bleibt. Ich nehme die Shampoo Flasche in die Hand und rieche daran. Auf der Shampoo-Flasche liegt eine leichte Patina. Staubpartikel haben sich darauf niedergelassen sagend, dass Zeit vergangen ist. Dass Zeit vergangen ist. Ich muss lächeln.

Ok, aber so war es ja nicht. Denn die Shampoo-Flasche gibt es wie schon erwähnt nicht, die Syoss-L’Or’eal-Sammlung auch nicht, nur die Erinnerung an Barcelona, die gibt es und die Zeit, die vergeht.

„Die Nacht ist noch jung,
aber wir sind schon alt“ – singt Fynn Kliemann in meinem Ohr vor sich hin.
Zeit vergeht. Als könnte Zeit etwas anderes tun, als vergehen, denke ich. Sie zu fassen, wenn sie vergeht – ist wie Wolken greifen. Zeit zu verstehen, damit meine ich, sie wirklich in ihrer Essenz zu begreifen, sie zu fühlen, funktioniert nicht. Zumindest nicht für mich. Den süßen Duft des Lavendel-Öls kann ich hingegen immer noch riechen.

„Die Kerze noch warm
Aber die Füße sind kalt
Ich warte auf mehr“

Ich blicke raus und sehe den Regentropfen dabei zu, wie sie in die kleinen Pfützen fallen, die sich mittlerweile auf dem Balkon gebildet haben. Gestern haben wir Ananasminze, Nana-Minze, Pfefferminze und Mojito-Minze in alte Kochtöpfe gepflanzt. Ganz schön viel Minze, denke ich. Aber es war schön, etwas mit den Händen zu machen. Und mit dir.

„Ich brauche ’nen Rahmen
Du ziehst soweit auf wie du kannst“

„Wusstest du, das du das tust? Also mir ‚ nen Rahmen geben, den ich brauche. Auch wenn ich oft Angst habe, mir das einzugestehen“, hätte ich dich gerne gefragt. Ausgesprochen klingt es aber genauso kitschig wie Ananasminze, also hab ich’s gelassen und stattdessen Fynn Kliemann weiter zugehört und mir falsche Shampoo-Flaschen-Analogien ausgedacht.
Die Tomatenpflanzen sehen in den alten Kochtöpfen jedenfalls richtig schön aus, genauso wie das Rosmarin – oder ist es Thymian? Als hätte ich auf einmal botanisches Fachwissen. Der Basilikum wird nicht lange überleben, sagte ich, der vergeht schnell. Er vergeht schnell.
Da ist sie wieder die Vergänglichkeit, denke ich. Dieser unendliche Sog, der einen zieht, nicht loslässt. Manchmal würde ich gerne „Stop“ drücken, den Moment einfrieren mit dir, damit er nur eine Sekunde länger da ist, anhält. Geht aber nicht, ich weiß, schon klar. In meiner Vorstellung müssen wir nur die Luft anhalten und die Zeit steht still, ganz einfach.

„Ich will so viel
Du bringst mir bei
Dass Leben manchmal reicht
Immer hektisch nach außen
Doch mache ich mit dir heimlich Pause
Ich wollt dir nur sagen
Ich komm gern nach Hause“

Meine Füße beginnen zu kribbeln. Sie sind eingeschlafen. Ich muss aufstehen. Kennst du die letzten drei Zeilen aus dem Song?
Ich halte dann mal die Luft an.